Wie unglückliche Zwerge bei der Arbeit. Studentenweisheiten I

Veröffentlicht von am 30.06.2010, 19:17 | Kommentar

Die Prüfungszeit beginnt. Aber wem sage ich das? Quer durch die Hörsäle kann ich die Studierenden aufstöhnen hören. Mich persönlich faszinieren diese ein bis zwei Monate vor Semesterende ja immer. Alibihalber begab ich mich gestern auch Mal in die Zentralbib. Es war 14 Uhr Mittag an einem wunderschönen, sonnigen Montag, den wir alle viel lieber auf der Inn-Wiese verbracht hätten. Was ich dann allerdings in der Bib zu sehen bekam, ließ mich lachen und weinen zugleich. Ordentlich aufgereiht saß an den Tischen des großen Lesesaals dicht gedrängt Studierender neben Studierender. Ich musste an ein altes Weinachts-Bilderbuch denken, dass ich als Kind sehr gemocht habe. Der Lesesaal erinnerte mich an die Weihnachtswerkstadt, die darin beschrieben wurde. Die Studierenden an die emsig arbeitenden Zwerge, deren einzige Lebensaufgabe darin besteht, Geschenke zu basteln. Nur sahen die Zwerge in dem Buch glücklicher aus.

Die Situation führte mir schlagartig die ganze Absurdität unseres Studiums vor Augen. Vielleicht war ja der ein oder andere tatsächlich in eine Lektüre vertieft, die in brennend interessierte. Vielleicht stand jemand kurz vor der Lösung eines juristischen Problems, dass er schon lange mit Leidenschaft betrachtete. Kann ja sein. Was mich betrifft, begann ich stumpf eine Zeittafel der wichtigsten Ereignisse im späten Mittelalter aufzuschreiben um sie später auswendig zu lernen. Zu dem Studium der Geschichte gehört es nun einmal Jahreszahlen zu lernen, keine Frage. Doch Auswendiglernen kann nicht alles sein. Mir genügt es nicht zu erfahren, wie die Situation damals war und wie sie heute ist. Ich möchte sie kritisch hinterfragen, möchte sie diskutieren, möchte sie an lebendigen Beispielen erkennen und bewerten, möchte über Veränderungen nachdenken. Für viele bedeutet Studieren heute nur noch Definitionen und Fakten zu auswendig zu lernen um sie in den Prüfungen dann eins zu eins niederzuschreiben. Hauptsache man erhält eine gute Bewertung, das ist das Wichtigste.

Was ist von der Idee des Studiums, der Idee einer Universität übrig geblieben? Sollte eine Universität nicht der Ort sein, an dem Studierende anstatt, wie zu Schulzeiten, nur pures Wissen zu erlangen, ganz tief in ihr Thema einsteigen, es von allen Seiten betrachten um es letzten Endes im Ganzen verstehen und bewerten zu können? Sollte eine Universität nicht der Ort sein, an dem Menschen das Gelernte auf ihr wahres Leben beziehen? An dem sie sich engagieren, sich selbst finden und formen? Schon, werden jetzt einige anwenden, aber wer hält die Studierenden von heute denn davon ab genau das zu tun? Klar, kann ich mich in nebenher engagieren. Natürlich kann ich das komplette Werk von Platon lesen, statt nur die klausurrelevanten Stellen. Wenn denn dafür Zeit bliebe. Immerhin muss ein durchschnittlicher Studierender sein sechs Prüfungen im Semester absolvieren, möglichst gut. Immerhin müssen viele, dank Studiengebühren, nebenher arbeiten oder zusätzliche Rhetorik- und Sprachkurse belegen um sich für den Arbeitsmarkt attraktiv zu machen.

Ein Dilemma? Ich sehe genau zwei Lösungen. Lösung 1: Ich lerne brav die Aussagen der Professoren auswendig, bestehe alle Prüfungen – besonders gut diejenigen, die aus einem Richtig und Falsch- Multiple Choice-Test bestehen – und habe am Ende eine passable Bachelornote in der Tasche. Klingt auf den ersten Blick nicht schlecht. Meiner Hoffnung auf einen (womöglich sogar gut bezahlten) Beruf wird aber ein Dämpfer gesetzt, wenn ich bemerke, dass mein unreflektiertes Wissen mir im wahren Arbeitsleben nichts bringt. Und überhaupt: Was bedeutet denn nun mein Studium? Was ist mein Abschluss denn wert? Ich studiere Staatswissenschaften, einen wundervollen Studiengang. Ich verspreche mir davon, dass ich irgendwann den Staat, in dem wir leben, ein Stück besser verstehe. Ist das etwa zu viel verlangt?

Kommen wir zu Lösung 2: Ich beschäftige mich mit all dem, was ich im Studium lerne so intensiv wie es für nötig halte. Ich lese alle großen Werke, verbinde das Gelernte mit der aktuellen Politik und mit meiner eigenen kleinen Welt. Ich engagiere mich: In der Hochschulpolitik, in einer NGO, in einem Unimedium, in Sportgruppen – was immer mir eben zusagt. Ich denke viel darüber nach, was ich eigentlich will; denke über die Welt nach, in der ich lebe. Schließlich bin ich ein halbwegs geformter Mensch, mit mir selbst im Reinen. Ich habe das Gefühl meine Studienzeit genutzt zu haben. Doch bei all dem Drumherum komme ich kaum zum Lernen. Um irgendwie durchzukommen müsste ich geschätzte 10 Semester studieren, doch ich werde laut Studienordnung nach 8 Semestern zwangsexmatrikuliert. Aber nehmen wir mal an, ich schaffe es doch irgendwie mein Studium abzuschließen. Dann ist meine Bachelornote so schlecht, dass ich kaum Aussicht auf einen Beruf habe. Denn oft zählt heutzutage nur noch die Note auf dem Papier, nicht mehr der Mensch dahinter.

So kann es nicht weitergehen. Es muss wieder Zeit und Raum für kritische Reflexionen geschaffen werden. Engagement und ein (auf dem Papier) erfolgreiches Studium darf kein Widerspruch mehr sein. Dass dachte sich auch unsere Studierendenvertretung und organisierte am Dienstag den 1. Juni eine Podiumsdiskussion zu genau diesem Thema: „Unternehmerische Uni: Karriere oder Selbstverwirklichung?“ Es kamen Politiker der Parteien SPD, Grüne, Die Linke, sowie der CSU. Tatsächlich wurden einige Diskussionen angerissen, die schon lange ausstanden. Was bedeutet Karriere? Was bedeutet Erfolg? Was ist die Folge aus Projekten wie der Exzellenzinitiative; zu was wird ein immer stärkerer Wettbewerb zwischen den Universitäten führen? Das Einzige, was an diesem Abend fehlte, waren die Besucher. Um die 30 Studierende fanden sich in dem Hörsaal ein. Wo die Anderen blieben? Vielleicht sehen sie einfach keinen Diskussionsbedarf. Akzeptiert. Ein Problem sehe ich hingegen bei jenen, die der Problematik zustimmen, aber dennoch nichts unternehmen. Diejenigen, von denen ich immer zu hören bekomme: „Wir können ja doch nichts ändern.“ Das soll es also sein? Wir finden uns einfach mit unserem Schicksal ab? Wir sind die Passauer Studierenden, die größte Gruppe an dieser Universität. Wenn  wir hier nichts ändern können, wer dann? Wo waren sie denn nun alle an besagten Dienstagabend? Wahrscheinlich saßen sie  in der Bib und lernten stumm vor sich hin.

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Dieser Artikel wurde verfasst von Sunita Sukhana.

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