Der perfekte Student. Studentenweiheiten II
Endlich habe ich sie gefunden. Die ultimative Anleitung um ein perfekter Student zu werden. Die Schatzkarte zum Traumberuf. Ich spreche von dem Career Guide, der seit Juni neben dem Kopierer bei den Automaten im WiWi-Gebäude ausliegt. Auf 46 Seiten wird hier ausführlich beschrieben, wie ein Student sein muss um auf dem Arbeitsmarkt von heute zu bestehen. Dieses Heft zeigt den Weg ins Vielverdiener-Paradies oder – wie es dort genannt wird – die „Voraussetzungen für den Traumjob“.
Na dann wollen wir ihn uns doch mal ansehen, den perfekten Studenten. Schon vor Studienbeginn ist ihm vollkommen klar in welchem Beruf, wenn nicht sogar in welchem Unternehmen, er mal arbeiten wird. Ohne übersinnliche Fähigkeiten läuft gar nichts. Jeden Morgen stellt sich der perfekte Student vor seinen Spiegel und spricht seine Erfolgsformel laut aus: Ich werde es schaffen, indem „eine schnelle und nahhaltige Zielumsetzung bei effizienter Leistungserbringung in meinem Lebenslauf zu erkennen ist“ (siehe Seite 10). In seiner Tasche trägt er stets seinen persönlichen Karriereplan mit sich und überprüft täglich, ob auch alles nach Plan läuft. Mit Grauen hält er sich das Schicksal seiner Freunde vor Augen, die den Studiengang wechselten oder bei einer Prüfung durchgefallen sind. Das wird ihm, dem perfekten Student, nicht passieren. Für Irrtümer und Schwächen bleibt kein Raum. Er muss sofort vollkommen sein.
Bei der Wahl der Hochschule hat der perfekte Student sämtliche angesehene Rankings studiert und sich schließlich für die renommierteste Hochschule entschieden. Dass sein Studienort seiner Alptraumvorstellung eines Seniorenheims entspricht, nimmt er gerne in Kauf. Wo würde er denn enden, wenn er auch noch auf persönliche Ortsvorlieben Rücksicht nehmen würde? Ohnehin: persönliche Vorlieben sind vollkommen überbewertet.
Selbstverständlich wird der perfekte Student sein Studium in der Regelstudienzeit beenden. Korrekturen erlaubt sein Karriereplan nicht, er hat ihn mit einem Kuli ausgefüllt. Das bedeutet für ihn eine „ausschließliche Konzentration auf das Studium“ (Seite 11). Wer ein Privatleben hat, hat schon verloren. Auch das konnte er bei seinen Freunden schmerzlich mit verfolgen. Zumindest war das damals so, als er noch Freunde hatte. Auch für einen Nebenjob hat der perfekte Student keine Zeit. Aber das macht nichts, er ist ohnehin Stipendiat einer angesehenen Stiftung. Dabei geht es ihm weniger um die finanzielle Unterstützung, die hat er Danke Mama und Papa gar nicht nötig, sondern ausschließlich darum, sich von den anderen abzuheben. Konkurrenz ist alles. Es genügt nicht sehr gut zu sein, er muss besser als die anderen sein. Und selbstverständlich ist das der perfekte Student. Das beweist er zusätzlich durch den Sieg bei etlichen Wettbewerben.
In seinem Studienfach hat er sich gleich zu Beginn auf eine spezielle Fachrichtung festgelegt. Ein Wechsel käme für ihn ohnehin nicht in Frage. Sehr guten Leistungen in ausnahmslos all seinen Prüfungen genügen nicht. Der perfekte Student beherrscht auch ein fließendes Englisch, sowie eine weitere wichtige Fremdsprache (Indonesisch bringt ihn ja doch nicht weiter). Er absolviert ein Semester im Ausland, selbstverständlich ohne eine Verzögerung seines Studiums in Kauf zu nehmen. Dann wird er im nächsten Semester in Deutschland einfach 10 anstatt 6 Prüfungen mitschreiben.
Seine fehlenden privaten sozialen Kontakte macht der perfekte Student durch Kurse wett, die explizit Soft-Skills wie Teamfähigkeit, Motivationsfähigkeit oder Persönlichkeit trainieren. Er belegt alle EDV-Kurse, die in seiner Umgebung angeboten werden.
Doch nicht dass der zukünftige Arbeitsgeber annimmt, der perfekte Student hätte nur seine Karriere im Kopf. Nein, er engagiert sich auch außerhalb seines Studiums in einem studentischen Netzwerk und dem studentischen Börsenverein. Hier lernt er die wirklich wichtigen Leute kennen und kann später einmal Erfahrung nachweisen. Eigentlich interessieren ihn diese Gruppen gar nicht, aber das ist ja nicht von Bedeutung.
Natürlich liegt der perfekte Student auch in den Semesterferien nicht auf der faulen Haut. In dieser freien Zeit, in der er sich dank Freunde Mangel sowieso nur langweilen würde, absolviert er diverse Praktika in seinem späteren Berufsfeld. Auf Campus Messen knüpft er schon im ersten Semester Kontakt zu seinem späteren Arbeitgeber. Ist ihm einmal etwas unklar, kann er sich auf wiwi-online.de informieren. Anstatt eines Suchwortes, gibt man hier einen Info-Code ein. Nicht dass jeder an die wertvollen Informationen gelangen kann. Das mit dem Code gefällt dem perfekten Student. Er lässt sich schon längst nicht mehr bei seinen Namen, sondern nur mit seiner Matrikel Nummer ansprechen. Und wenn alles nach Karriereplan verläuft, wird er schon bald einen gutbezahlten Führungsposten inne haben.
Doch was, wenn es trotz allem nicht klappt? Woran kann das liegen? Vielleicht an der Erkenntnis, die dem Autor des Career Guides auf Seite 25 für einen kurzen Moment doch noch kommt: „Nur wer Freude an dem hat was er macht, kann darin auch wirklich gut sein.“ Ach was?
Kategorie(n): Recruiting und Karriere, Studierendenproteste, Studium
Dieser Artikel wurde verfasst von Sunita Sukhana.
Ein Kommentar
Großartig!
Dieser „Career Guide“ ist feinste Realsatire – wenngleich das von den Autoren wohl nie beabsichtigt war. Aber das dort beschriebene Bild eines Studenten sollte doch nachdenklich stimmen.
Besonders der Teil mit den Soft-Skill-Kursen trifft den Nagel auf den Kopf. Eigentlich fehlen nur noch die Links auf die entsprechenden Kurse des Zentrums für Schlüsselqualifikationen. Der perfekte Student hat ja schließlich Studienbeiträge gezahlt, damit man seine – der Karrierefixierung geschuldeten – Unzulänglichkeiten im Sozialverhalten behebt.
Und nach der Regelstudienzeit verlässt die Uni: eine verantwortungsbewusste Führungskraft!
Danke für diesen Beitrag. Weiter so!