Bekomme ich im Hörsaal überhaupt noch Platz? Studentenweisheiten VI.
Montags – 8, 15 Uhr – Passau. Wie gerne würde ich jetzt noch im Bett liegen und mich vom Wochenende erholen. Doch mit viel Überwindung habe ich mich aufgerafft und bin durch das immer kälter werdende Passau zur Uni gelaufen. Stolz betrete ich Hörsaal 9. Mit einem Kaffee bewaffnet stelle ich mich darauf ein mit 10 anderen Frühaufstehern ein paar Wirtschaftsaufgaben durchzugehen. Doch weit komme ich nicht. Mein erster Schritt in den Hörsaal landet auf der Hand eines Kommilitonen. Der Hörsaal ist vollkommen überfüllt. Dafür bin ich also aufgestanden?
Mit viel Mühe kann ich mich zwischen eine Studentin und die Tür quetschen. Ich kann weder die Folien sehen, noch hören was der Dozent erzählt. Aber das macht nichts. Um etwas aufzuschreiben, bliebe ohnehin kein Platz. Verzweifelt versuche ich zumindest etwas von der intelligenten Atmosphäre aufzusaugen. Doch wer weiß, was bei solchen Verhältnissen von der überhaupt noch übrig geblieben ist.
Na klar ist es voll, wird jetzt der ein oder andere einwerfen. Hörsaal 9 ist ja auch viel zu klein. Das stimmt. Wieso verlegt man die Übung nicht in Hörsaal 10, unseren einzigen halbwegs großen Hörsaal? Ganz einfach: Dort findet schon eine andere Veranstaltung statt. Außerdem ist auch der nicht ausreichend. Donnerstags morgens erlebe ich nämlich ein ziemlich ähnliches Schauspiel nur eben in Hörsaal 10. Seit Semesterbeginn besuche ich diese Vorlesung nun schon und weiß bis heute nicht wie mein Professor eigentlich aussieht. Von dem Platz auf dem Boden hinter der letzten Reihe aus, kann ich den nämlich leider nicht sehen. Auch unser größter Hörsaal schützt also scheinbar nicht mehr vor dem Platz auf der Treppe. So könnte man die Reihe der überfüllten Vorlesungen und Übungen weiterführen. Dazu reihen sich noch etliche Seminare. Hier müssen wir, Studierenden, uns oft schon in den ersten paar Tagen anmelden. Ansonsten müssen wir uns mit Platz 26 der Warteliste zufrieden geben.
Doch damit nicht genug. Bei Sprachkursen sieht es noch düsterer aus. Um das zu verdeutlichen, möchte ich eine leider sehr wahre Geschichte erzählen: eine junge, engagierte Studentin wollte gerne Italienisch belegen. Weil es ihre liebste Sprache ist und weil sie nun einmal im Rahmen ihres Studiums mindestens eine Fremdsprache belegen muss. Doch alle Italienischkurse waren bereits voll. Als offener Mensch war sie bereit auch eine ähnliche Sprache anzufangen, zum Beispiel Spanisch oder Portugiesisch. Doch auch hier waren die Kurse ihrer Stufe restlos voll. Bei Russisch sah es nicht anders aus und so sah sich die Studentin schließlich gezwungen aus Verzweiflung Polnisch zu belegen. Klar sie könnte ja auch ein Semester warten. Doch irgendwann wird es knapp mit ihren Creditpoints. Und wer weiß ob es nächstes Semester wirklich besser aussieht.
Tatsächlich wird es in Zukunft nur noch schlimmer werden. Nächstes Jahr machen in Bayern nämlich zwei Jahrgänge gleichzeitig Abitur: diejenigen, die noch eine 9-jährige Schullaufbahn durchlaufen haben und diejenigen, die nun schon nach 8 Jahren ihr Abitur machen. Wie soll das funktionieren, wenn es schon jetzt überall eng ist? Das hat sich auch das bayrische Bildungsministerium und unsere Unileitung gefragt. Ihre Lösung: Die sogenannten G9ler absolvieren früher als die G8ler ihre Abiturprüfungen. Also können sie ja sofort im Anschluss daran, noch bevor sie ihr Abiturzeugnis überhaupt ausgestellt bekommen, im Mai 2011 mit dem Studium beginnen. Der Rest fängt dann wie gewohnt im September an. Es wird ohne Frage den Ansturm von Erstsemestern entzerren.
Doch im Endeffekt kommen wir nicht drum herum, dass sehr viel mehr Studierende unsere Uni bevölkern werden. Genauer gesagt mindestens 426 Studierende mehr. Das ist nämlich die Anzahl der Studienplätze, die unsere Uni zusätzlich schaffen will. Und diese 426 jungen Menschen wollen studieren. Sie wollen Veranstaltungen besuchen, die sowohl ältere als auch jünger Studierende ebenfalls besuchen. Und selbst wenn sich die Studierenden durch die Maßnahmen tatsächlich merklich auf verschiedene Veranstaltungen verteilen, werden sie doch dieselben Räume nutzen und bei denselben Professoren und Dozenten lernen wie alle andere. Bei den Professoren und Dozenten, die schon jetzt überlastet sind. Und in den Räumen, die schon jetzt überfüllt sind.
Um uns die Angst zu nehmen wird die Frage „Bekomme ich im Hörsaal überhaupt noch Platz?“ auf http://www.uni-passau.de/fragen-doppelter-abiturjahrgang.html folgendermaßen beantwortet: Es werden zusätzliche Räume angemietet. (Na hoffentlich ziemlich viele, am besten halb Passau.) Außerdem habe unsere Uni in den 90ern schon ohne Probleme viel mehr Studierende mit viel weniger Räumen als heute untergebracht. (Ich will nicht wissen, wie die Hörsäle damals aussahen.)
Wirklich beruhigen können die Pläne der Uni und des Bildungsministeriums nicht. In ein paar Jahren wird sich das Bild nämlich umdrehen. Es wird immer weniger junge Menschen und damit immer weniger Studierende geben. Sollte man da nicht die letzten starken Jahrgänge umso mehr fördern?
Bekomme ich im Hörsaal überhaupt noch Platz? Eine ehrliche Antwort müsste folgendermaßen lauten: Im Moment nicht immer, bald vielleicht gar nicht mehr.
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Dieser Artikel wurde verfasst von Sunita Sukhana.
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