Grenzen kennen, Hilfe nutzen im Schulalltag: Sonja Jakubik
Lehrkräfte in Schulen arbeiten nur halbtags und haben ständig frei? Dass dieses Klischee trügt, zeigt nicht zuletzt eine Studie des Aktionsrates Bildung aus dem Jahr 2014. Das Ergebnis: Ein Drittel aller Lehrerinnen und Lehrer leidet unter Burn-out. Als Grund wird neben der mangelnden Trennung von Berufs- und Privatleben auch eine zu hohe Gesamtarbeitszeit gesehen. Um einer späteren Erschöpfung vorzubeugen, soll daher in der Ausbildung nachgebessert werden. Dazu gehören neben einer Unterstützung bei der Studienwahl auch die Thematisierung schwieriger Situationen im Schulalltag und Diskussionen über die Grenzen der eigenen Handlungsoptionen: Was sind die Aufgaben einer Lehrerin oder eines Lehrers? Was muss die Lehrperson leisten und wo ist es sinnvoll, Verantwortung abzugeben?
Sonja Jakubik hat Lehramt an Grundschulen sowie Psychologie studiert. Seit 2005 arbeitet sie am Lehrstuhl für Psychologie der Universität Passau. Am ZfS bietet sie ab dem Sommersemester 2016 das Seminar „Grenzen kennen, Hilfe nutzen im Schulalltag“ (Stud.IP-Nr. 60006) an. Wir haben ihr einige Fragen dazu gestellt:
ZfS: Die Presse berichtet in den letzten Jahren vermehrt über Burn-out bei Lehrerinnen und Lehrern. Warum sind immer mehr Lehrende gestresst?
Sonja Jakubik: Der Lehrberuf lässt sich durch einige spezielle, belastende Faktoren charakterisieren, welche Burn-out fördern können. Hierzu zählen Lärm, heterogene Klassen und Zeitdruck ebenso wie die erforderte permanente Aufmerksamkeit. Der Unterricht ist zudem häufig von Konflikten geprägt: zwischen Lehrkraft und Schülern, zwischen Schülern untereinander. Unter Umständen können aber auch Lehrinhalte, Unterrichtsziele und pädagogische Ziele schlecht miteinander vereinbar sein. Dazu kommen noch zahlreiche Aufgaben, die Lehrkräfte außerhalb der Unterrichtszeit erfüllen müssen, wie Unterrichtsvorbereitung, Korrigieren oder das Schreiben von Zeugnissen. Dies erledigen die meisten Lehrkräfte nicht in der Schule, sondern zu Hause: Sie haben zwei Arbeitsplätze. Viele Lehrerinnen und Lehrer beklagen die mangelnde Anerkennung für diese „nicht sichtbaren“ Arbeiten, was sich in Bezeichnungen wie „Halbtagsjobber“ widerspiegelt.
Die empirischen Befunde zu diesem Thema sind heterogen; Einigkeit besteht aber darin, dass objektive Faktoren zur Erklärung von Burn-out nicht ausreichen. Vielmehr ist entscheidend, wie Belastungen individuell empfunden und bewertet werden, über welche Ressourcen eine Person verfügt und wie es ihr gelingt, diese zu nutzen.
ZfS: Am ZfS bieten Sie das Seminar „Grenzen kennen, Hilfe nutzen im Schulalltag“ an. In welchen Situationen ist es wichtig, sich Hilfe von außen zu holen?
Jakubik: Es ist immer dann notwendig, wenn ein Problem die eigenen Fähigkeiten übersteigt oder zu übersteigen droht. Abgesehen von rechtlichen Vorgaben und Regelungen spielt die persönliche Einschätzung der Situation, der Anforderungen und der persönlichen Ressourcen eine entscheidende Rolle. Davon hängt ab, ob ein Problem selbst gelöst werden kann oder ob dies zumindest versucht werden kann. Konkrete Situationen, in denen sich eine Lehrkraft Hilfe holen sollte sind z.B. psychische Auffälligkeiten, Angst oder Aggression, aber auch bei Bedarf an spezieller Förderung, andauernden Unterrichtsstörungen oder gesundheitlichen Problemen.
ZfS: Haben Sie selbst in Ihrer Tätigkeit als Lehrerin schon einmal eine derartige Situation erlebt? Können Sie diese kurz beschreiben?
Jakubik: Mit Angstsymptomen in unterschiedlichen Ausprägungen ist man als Lehrkraft relativ häufig konfrontiert. Persönlich habe ich bisher zwei extreme Fälle erlebt: Ein Schüler setzte sich selbst so unter Druck, dass er in sämtlichen schriftlichen Prüfungen versagte. – Er war nicht in der Lage, Antworten zu formulieren. Lehrkräfte können hier nur präventive und unterstützende Maßnahmen ergreifen; im besten Fall entstehen diese Ängste dann gar nicht. In dem genannten Fall musste der Schüler über einen längeren Zeitraum therapeutisch behandelt werden. Dies kann keine Lehrkraft leisten.
ZfS: Was vermitteln Sie den Lehramts-Studierenden in Ihrem Seminar?
Jakubik: Wir beschäftigen uns theoretisch und anwendungsbezogen mit verschiedenen Herausforderungen in Schule und Alltag. Es werden sowohl mögliche Ursachen als auch die Auswirkungen erarbeitet. Die Studierenden sollen individuelle Belastungen und Stressoren, aber auch persönliche und soziale Ressourcen identifizieren, analysieren und bewerten. Für den schulischen Bereich werden rechtliche Grundlagen, Zuständigkeiten und Hilfsangebote erarbeitet. So sollen die Studierenden Handlungsoptionen kennenlernen und beurteilen können. Anhand verschiedener Fallbeispiele werden exemplarisch konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet. Neben Einzel-, Partner- und Gruppenarbeiten kommen Impulsreferate, Textarbeiten, Rollenspiele und Gruppendiskussionen zum Einsatz.
ZfS: Vielen Dank für das Gespräch.
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