Hochschulpolitik 2.0: Verfasste Studierendenschaft

Veröffentlicht von am 24.06.2013, 08:13 | Kommentar

Die Verfasste Studierendenschaft ist eines der kontroversesten und kontinuierlichsten Themen der Hochschulpolitik. Befürworter sehen klare Vorteile in Bezug auf effektivere Mitbestimmung und Finanzhoheit. Gegner fürchten inkompetente Studierende mit zu großer Macht, die unprofessionelle Arbeit leisten und finanzielle Mittel veruntreuen. Deshalb wird auch dieses Thema im Rahmen von Hochschulpolitik 2.0 diskutiert und bietet aufgrund seiner Brisanz das perfekte Material für den Abschluss dieser Reihe.

Verfasste StudierendenschaftIn Bayern wurde die Verfasste Studierendenschaft im Jahr 1973 abgeschafft. Das „Studierendenparlament“ wurde durch einen „Studentischen Konvent“ und der „Allgemeine Studierendenausschuss“ (AStA) durch einen „SprecherInnenRat“ ersetzt . Was lediglich nach einer anderen Bezeichnung klingt, hat ausschlaggebende Konsequenzen für die Mitbestimmung der Studierendenvertreter. In allen anderen Bundesländern gibt es, teils nach temporärer Abschaffung, eine Verfasste Studierendenschaft.

Die o.g. Umbenennung wird von der Studierendenvertretung in Passau ohnehin ignoriert. So werden weiterhin die Bezeichnungen „Studierendenparlament“ und „AStA“ verwendet auch wenn diese nicht Teil einer Verfassten Studierendenschaft sind. Verantwortlich dafür sind vermutlich die Mehrheitsverhältnisse der Befürworter in beiden Gruppen.

Derzeit sind Studierendenvertreter in universitären Gremien mit 16% bis 25% der Sitze und Stimmen vertreten. Entscheidungen können jederzeit über die Köpfe der Studierenden hinweg getätigt werden – obwohl diese den größten Teil der Universitätsangehörigen ausmachen. Daher sind die Studierendenvertreter auf die Kooperationsbereitschaft von ProfessorInnen und Hochschulleitung angewiesen. Kritiker der Verfassten Studierendenschaft betonen die hervorragende Zusammenarbeit in den universitären Gremien im gegenwärtigen System. Missstände würden erhört und Lösungen unverzüglich erarbeitet. Dies steht im Widerspruch zu Aussagen vieler aktiver Studierendenvertreter, die sich über mangelnde Akzeptanz beschweren. Die angeblich fehlende Kooperationsbereitschaft sei die Folge unrealistischer Forderungen, so die Kritiker.

Eine Verfasste Studierendenschaft bedeutet allerdings auch eine Zwangsmitgliedschaft aller Studierender der Universität. Finanzielle Mittel für die studentische Selbstvertretung werden analog zum Semesterticket in den Rückmeldungsbetrag integriert. Je nach Hochschule beträgt dieser Anteil ca. 10€ pro Studierenden pro Semester. Finanzielle Mittel, die nach Aussagen der Kritiker nicht nötig sind und zudem oft veruntreut werden. Bereits mehrfach führten solche Vorwürfe zu Skandalen mit einem großen Presse-Echo. Offenbar bereicherten sich VertreterInnen selbst, unterstützten radikale Organisationen und finanzierten eine Berlin-Rundreise für Guerilla-Kämpfer aus Guatemala. Mit guten Kontrollmechanismen wären solche Veruntreuungen nicht möglich. Jedoch gestaltet sich die Kontrolle schwierig. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass unberechtigte Vorwürfe teilweise auch gemacht werden, um Wahlkampf zu betreiben.

Kürzlich organisierte die Juso-Hochschulgruppe eine Veranstaltung zum Thema Verfasste Studierendenschaft und lud die hochschulpolitische Sprecherin der Bayern-SPD Isabell Zacharias ein. Die CampusCrew berichtete. Auf der gestrigen Podiumsdiskussion gab es beim Thema Verfasste Studierendenschaft mit Abstand die meisten Zwischenrufe. Ein Thema von hoher Bedeutung und großer Reichweite, das abhängig vom Wahlausgang der kommenden Landtagswahl auch eine Wiedereinführung in Bayern zur Folge haben könnte. Jedoch gibt es innerhalb einiger “Parteien” und über die Bundesländer hinweg sehr verschiedene Ansichten. Nun die Ansichten der politischen Hochschulgruppen der Uni Passau im Einzelnen:

Fragestellung

Was haltet ihr von der Wiedereinführung der verfassten Studierendenschaft in Bayern?

Antworten*

RCDS

Der RCDS Passau ist gegen die Wiedereinführung der verfassten Studierendenschaft in Bayern. In den Bundesländern, in denen es eine VS gibt, werden immer wieder hohe Summen an studentischen Geldern veruntreut, sei es für Saufgelage oder Karibik-Reisen. Diese Gelder stammen aus den Zwangsabgaben, die die Studenten an die VS leisten müssen. Wir lehnen eine Zwangsmitgliedschaft jedoch ab. Die Leistungen, die andernorts eine VS erbringt, wie etwa Psychologische Beratung oder das Aushandeln eines Semestertickes gibt es auch in Passau, ohne dass wir dafür etwas zahlen müssten. Auch das allgemeinpolitische Mandat der VS ist für uns nicht akzeptabel, da so Minderheiten das Recht haben, für alle Studenten zu jedem beliebigen Thema Stellung zu nehmen. Eine VS ist auch keine Voraussetzung für mehr Mitbestimmung, so hat der RCDS bei der jüngsten Hochschulgesetznovelle in Bayern den zweiten studentischen Senator durchgesetzt, ohne das es dafür eine VS gebraucht hätte.

Die Linke.SDS

Die Verfasste Studierendenschaft wurde im Rahmen des Readucation Prozesses nach dem Hitlerfaschismus eingeführt, um die Demokratisierung der wichtigen gesellschaftlichen Institution Hochschule voranzubringen. In den 1970er Jahren wurde die Verfasste Studierendenschaft aus politischem Kalkül abgeschafft, jedoch mittlerweile in allen Bundesländern außer Bayern wieder eingeführt. In einer demokratischen Gesellschaft darf es keine undemokratischen Institutionen geben. Gerade die Hochschulen als Ort der (Re)Produktion der herrschenden Ideologien müssen demokratisch organisiert sein. Der SDS fordert daher die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft als einen Schritt zur Demokratisierung der Hochschulen. Wichtiger Teil des Demokratisierungsprozesses ist selbstverständlich auch die stärkere Beteiligung der Studierenden, insbesondere bei Lehrstuhlbesetzungen.

Piraten HSG

Die Studierendenschaft ist ein wesentlicher Teil der Universität und sollte daher direkt bei Angelegenheiten, die sie betreffen, mitentscheiden dürfen. Durch ein verfasstes Organ könnte die Vertretung der Belange der Studierenden verbessert werden, möglicherweise auch über die Hochschule hinaus. Einzelne Beispiele fragwürdiger Mittelverwendung sind für uns kein Grund, das Konzept abzulehnen, allerdings muss ein solches Organ von den Studierenden breite Zustimmung erfahren. Unsere Wunschvorstellung wäre – bei gegebener rechtlicher Grundlage – eine direktdemokratische Entscheidung der Studierenden der Universität. Zumindest eine Befragung der Studierenden mit eindeutig positivem Ausgang ist für uns Voraussetzung, die Einführung einer verfassten Studierendenschaft zu unterstützen.

LHG

Wir sprechen uns entschieden dagagen aus! Bisher hat sich die Verfasste Studierendenschaft in anderen Bundesländern insbesondere durch kuriose Ausgaben und Veruntreuungen ausgezeichnet. Die finanziellen Zwangsabgaben sind nicht zu akzeptieren. Wir sind zudem gegen Zwangsmitgliedschaften und halten es für fatal, wenn es sich einzelne Studenten herausnehmen, für den Rest ihrer Kommilitonen in allen politischen Fragen zu sprechen. Dazu ist das allgemeine politische Mandat vorgesehen.

Juso HSG

Eine möglichst weitreichende studentische Mitbestimmung ist ein Kernanliegen der Juso-Hochschulgruppe. Die konservative Politik in Bayern verhindert die studentische Mitbestimmung jedoch grundlegend. Denn das bedeutet, dass die Studierendenvertretung ohne rechtliches Fundament nur unter Duldung der Hochschulleitung und ohne wirkliches politisches Mitspracherecht agiert. Ohne die Rechtsgrundlage für eine Verfasste Studierendenschaft ist der AStA in politischen und finanziellen Belangen ein reiner Bittsteller. Eine Verfasste Studierendenschaft, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Studierenden offiziell repräsentiert und Finanzhoheit besitzt, bedeutet weiterreichende Mitbestimmung und mehr Freiheiten für Projekte für die Studierenden. Wir setzen uns dafür ein, dass auch Bayern endlich eine Verfasste Studierendenschaft bekommt.

Grüne HSG

Die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft (VS) ist eine der Kernforderungen Grüner Hochschulgruppen auf. Nur durch die VS in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts kann die Arbeit der Studierendenvertretung professionalisiert und maßgeblich erweitert werden. Eigene Kompetenzen wie etwa ein allgemein Politisches Mandat, die Erhebung von Mitgliedsbeiträgen und die Einbindung in die akademische Selbstverwaltung sehen wir als notwendig an. Einen äußerst entscheidenden Punkt sehen wir zudem in der Finanzautonomie. Die Studierendenvertretung hätte in der Rechtsform der VS beispielsweise die Möglichkeit Fachkräfte zur Unterstützung der Arbeit einzustellen oder den Studierenden erweiterte Serviceangebote zu Verfügung zu stellen. Der Möglichkeit der Veruntreuung von Geldern muss mit entsprechenden Kontrollstrukturen, beispielsweise unabhängigen Buchhalter_Innen entgegengewirkt werden.

Dies ist der letzte Artikel der Reihe Hochschulpolitik 2.0, vorerst zumindest ;-). Die politischen Hochschulgruppen haben Stellung zu sechs kontroversen Themen bezogen. Außerdem haben die Fachschaften ihre Arbeit und ihren jeweiligen Wahlvorschlag vorgestellt. Wir hoffen den Leserinnen und Lesern einen umfassenden Einblick in die Arbeit der Studierendenvertretung und die hochschulpolitischen Themen gegeben zu haben. In diesem Sinne: Happy voting!

(*) Reihenfolge in Rotation zum vorherigen Artikel.

 

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