„Ich kann nur die Richtung zeigen, gehen muss den Weg jeder selbst!“
Der Medientrainer und Coach Roland Wagner widmet sich mit „Wer steuert wen? Der intelligente Umgang mit Smartphone & Co.“ in diesem Wintersemester am ZfS der Universität Passau dem selbstbestimmten und bewussten Umgang mit digitalen Medien. Im Gespräch mit dem ZfS gibt der Experte unter anderem einen Einblick, was die Studierenden in seinem Seminar erwartet und verrät wie er selber mit seinem Smartphone umgeht.
Herr Wagner, wie oft am Tag schauen Sie auf Ihr Smartphone?
Roland Wagner: Das hängt stark von den äußeren Umständen ab. Wenn ich ein Seminar gebe, vielleicht 15 bis 20 Mal. An manchen Urlaubstagen null bis höchstens dreimal. An anderen Tagen deutlich öfter.
Warum können wir dem Reiz der aufpoppenden Browserfenster und dem Vibrieren des Handys so schlecht widerstehen?
Roland Wagner: Zum einen, weil der Kontakt mit anderen Menschen eine Grundbedingung unserer Existenz ist. Menschen brauchen Kontakt, sonst sterben sie, wie das furchtbare Kaspar Hauser-Experiment gezeigt hat. An diesem Punkt hängen wir also schnell an der Angel, denn wir empfinden das Verbundensein mit anderen als zutiefst stabilisierend. Wenn es piept oder vibriert, könnte das jemand sein, mit dem ich in Kontakt treten könnte. Das ist im Grunde etwas Schönes. Aber, wie Paracelsus sagte: Die Dosis macht das Gift. Man kann sich auch mit Vitamin C vergiften…Beim aufpoppenden Browserfenster ist es ein Verhaltensmuster, das der Mensch evolutionär entwickelt hat. Wenn sich in unserem Blickfeld etwas bewegt, schauen wir automatisch hin, das ist wichtig, um Gefahren so schnell wie möglich wahrzunehmen. Das sich bewegende oder blinkende Browserfenster bedient sich dieses Reflexes, genauso wie die schnell geschnittenen Musik-Videoclips – man kann einfach nur schwer weggucken!
Ihr Seminar „Wer steuert wen? Der intelligente Umgang mit Smartphone & Co.“ soll den Teilnehmenden den richtigen Umgang mit dem Smartphone lehren. Was ist denn aus Ihrer Sicht der „falsche“ Umgang und was sind seine Folgen?
Roland Wagner: Ich tue mich sehr schwer mit Kategorien wie richtig oder falsch. Ich kenne Menschen, bei denen macht mich der Umgang mit dem Smartphone schon beim Zusehen kirre, aber sie scheinen damit keine oder wenig Probleme zu haben. Schwierig wird es, wenn der Nutzer unter seiner Smartphone-Nutzung und den Folgen leidet. Als häufigstes Symptom schildern Betroffene eine Art Aufmerksamkeitszersplitterung. Sie merken, dass sie sich kaum mehr als ein paar Minuten auf eine Sache konzentrieren können, ohne dass automatisch der Griff zum Smartphone kommt und die Aufmerksamkeit auf den Bildschirm wandert. Verbreitet ist auch das Gefühl, nicht mehr Abschalten zu können, weil ja jederzeit etwas kommen könnte. Am Piepton erkennt man aber meist nicht, wie wichtig eine eingehende Nachricht ist. Das betrifft oft Berufstätige in wichtigen Positionen. Sie leiden unter einem ständigen Alarmismus, oft begleitet von einem schlechten Gefühl, wenn sie offline gehen – so als würden sie eine Pflicht verletzen. Häufig geraten exzessive Smartphone-Nutzer auch mit ihrer Umwelt in Konflikt – in der WG oder mit der Partnerin oder dem Partner, weil die sich nicht mehr ausreichend wahrgenommen fühlen. Oder an der Uni, dort leiden Professoren und/oder Lehrbeauftragte unter ihrem geistig abwesenden Publikum.
Wie merke ich selber, dass ich „handysüchtig“ bin?
Roland Wagner: Spätestens, wenn ich beim SMS-Tippen gegen einen Laternenpfosten laufe. Im Ernst: Wie bei allen Süchten ist es für den Betroffenen sehr schwer, das eigene Verhalten kritisch zu beleuchten oder sich die negativen Folgen einzugestehen. Ein wichtiges Indiz ist es, wenn ich nicht mehr in der Lage bin, Zeit einfach mal verstreichen zu lassen. Wenn ich bei jeder natürlichen Ruhepause, die im Tagesverlauf entsteht, sofort das Smartphone oder das Tablet zücke. Etwa wenn ich die Straßenbahn verpasst habe, kurz warte, bis das Wasser kocht, oder aufs Klo gehe. Muss ich dann Mails checken, SMS, WhatsApp, den Facebook-Status oder tagesschau.de? Hier beginnt der Raubbau an der eigenen Aufmerksamkeit. Diese Ressource ist nämlich nicht unbegrenzt. Der Geist braucht im Tagesverlauf solche Pausen, sonst leidet bald die Konzentrationsfähigkeit und auf Dauer die Fähigkeit, sich zu entspannen.
Viele Studierende sind rund um die Uhr mit ihrem Smartphone beschäftigt. Auf dem Campus sind viele Studis zu beobachten, die von ihrer unmittelbaren Umgebung abgemeldet wirken. Sind Studierende von den Auswirkungen der digitalen Revolution im besonderen Maße betroffen? Wenn ja, warum?
Roland Wagner: Wenn ein Mensch „abgeschaltet“ wirkt, finde ich das grundsätzlich erstmal positiv. Das spricht für einen Zustand hoher Aufmerksamkeit oder tiefer Konzentration. Wenn einer auf dem Campus ein Buch liest, wirkt er oder sie auch wie abgeschaltet. Schade fände ich, wenn Studierende deshalb weniger in direkten Kontakt miteinander kommen. Ob Studierende mehr von der digitalen Revolution betroffen sind als zum Beispiel Jugendliche oder Berufstätige? Darauf habe ich keine fundierte Antwort, spontan würde ich sagen, eher nicht. Aus meiner Erfahrung mit Studierenden aus Stressbewältigungs-Kursen weiß ich aber, dass die Studienzeit heute anders erlebt wird, als etwa zu meiner Zeit Mitte der Neunziger. Viele Studierenden berichten von einem starken Effektivitätsdruck. Das Studium wird erlebt als kurzer Zeitraum in dem entscheidende Weichen gestellt werden für einen erfolgreichen Berufseinstieg. Gleichzeitig führt die digitale Revolution dazu, dass viel mehr, dass fast alle Informationen verfügbar sind. Davon fühlen sich viele Studierende überfrachtet, weil die Auswahl an Möglichkeiten so unendlich groß ist. Kaum etwas ist vorgezeichnet, anything goes! Aber wers nicht schafft, ist auch gefühlt allein dafür verantwortlich. Das belastet manche, es hängt mit der digitalen Revolution zusammen, aber nicht direkt mit der Smartphone-Nutzung.
Viele Arbeitgeber erwarten eine ständige Verfügbarkeit. Das Smartphone macht uns potenziell ständig verfügbar – auch im Job. Wie geht man damit am besten um, ohne den Chef zu verärgern?
Roland Wagner: Am besten ist ein Gespräch mit dem Chef und klare Absprachen. Was wird vom Arbeitgeber WIRKLICH erwartet? Oft ist es auch vorauseilender Gehorsam. Wenn ich die Erwartungen kenne, kommt die nächste Frage: kann oder will ich das erfüllen? Ein großes Problem ist, dass viele Arbeitnehmer unter diesen oft unausgesprochenen Erwartungen leiden, aber nicht mit ihrem Chef darüber reden, oder sich abgrenzen. Wenn ein leistungsorientierter Chef einen Mitarbeiter hat, der ihm brav abends um 22 Uhr oder am Wochenende noch Mails beantwortet, warum sollte er dann was ändern? Hier muss jeder für sich selbst sorgen, Grenzen definieren und für diese eintreten.
Was ist Ihre persönliche Formel, um den Reizen des Smartphones nicht zu erliegen?
Roland Wagner: Erstens eine gute Selbstwahrnehmung multipliziert mit Übung in Aufmerksamkeitslenkung. Selbstwahrnehmung ermöglicht es, die Automatik zu unterbrechen, die mich wie ferngesteuert zum Smartphone greifen lässt. Aufmerksamkeitslenkung führt dazu, dass ich mich auf Dauer besser konzentrieren kann und besser unterscheiden, was im gegenwärtigen Moment wichtig ist, was also wirklich meine Aufmerksamkeit verdient. Um beides geht es auch in meinem Kurs, wir üben und ich erkläre Ablauf und Hintergründe einer Automatik. Aber Vorsicht: es ist keine Glücksformel oder eine Zwei-Punkte-Methode zum Smartphone-Glück. Ich setze grundsätzlicher an. Es geht um einen Weg zu größerer Wachheit und Klarheit; ein individueller Weg, von dem man auch wieder abkommen kann. Ich kann nur die Richtung zeigen, das ist an einem Tag machbar. Gehen muss jeder selbst.Ein guter Anfang ist es, Hinweisen zu folgen. Ich selbst korrigiere mich immer wieder. Neulich zum Beispiel hat mich meine Frau darauf hingewiesen, dass sie es nicht schön findet, wenn ich am Esstisch aufs Smartphone schaue. Da fiel mir auf, dass ich das selbst nicht will – seitdem ist das iPhone beim Essen stumm.
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Dieser Artikel wurde verfasst von Zentrum für Karriere und Kompetenzen.
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