Nachgefragt bei: Prof. Dr. Christoph Barmeyer

Veröffentlicht von am 30.06.2015, 15:56 | Kommentar

Prof. Dr. BarmeyerDie interkulturelle Kompetenzentwicklung stellt einen wesentlichen Forschungsschwerpunkt des Lehrstuhls für interkulturelle Kommunikation an der Universität Passau dar – beispielsweise wurde hier das „Passauer Drei-Ebenen-Modell“ der interkulturellen Kompetenz entwickelt, das einen integrativen Ansatz verfolgt. Wir haben mit dem Inhaber des Lehrstuhls, Herrn Prof. Dr. Christoph Barmeyer, über die Entwicklung und Erlernbarkeit sowie über aktuelle und zukünftige Tendenzen interkultureller Kompetenz gesprochen.

ZfS: Herr Prof. Barmeyer, wann kann man eine Person als interkulturell kompetent bezeichnen?

Eine Person agiert interkulturell kompetent, wenn es ihr gelingt, in verschiedenen Handlungskontexten mit anderskulturellen Menschen bestimmte Ziele zu erreichen und gleichzeitig Zufriedenheit zu empfinden. Hier gilt es, sowohl die eigenen Absichten deutlich zu machen als auch die Absichten der Interaktionspartner „richtig“ zu deuten. Dabei ist ein angemessenes Verhalten wichtig, das heißt, dass auch die Bedürfnisse der Interaktionspartner berücksichtigt werden. Jemanden „über den Tisch ziehen“, also nur die eigenen Ziele und Interessen zu Lasten der anderen Interaktionspartner durchzusetzen, ist nicht angemessen.

Neben Sprachkenntnissen und Wissen über andere Kulturen kommen bei der interkulturellen Kompetenz bestimmte Persönlichkeitseigenschaften wie Offenheit, Flexibilität, Empathie etc. zum Tragen. Über die bloße Aufzählung von Eigenschaften hinaus muss jedoch auch betrachtet werden, wie individuelle interkulturelle Kompetenz in soziale Interaktionen und spezifische Kontexte eingebettet ist, denn: Kompetenzen entfalten ihre Wirkung erst in sozialer Interaktion. Wichtig ist auch – und hier werde ich bewusst normativ – interkulturelle Kompetenz nicht auf „ökonomische“ Elemente wie Zielerreichung zu reduzieren, sondern auch humanistische Elemente, nämlich solche, die Verständigung und friedliches Miteinander fördern, zu beachten.

ZfS: Inwieweit kann man interkulturelle Kompetenz erlernen und inwieweit hängt diese von der Persönlichkeit eines Menschen ab?

Sozialisation spielt natürlich eine große Rolle für die Herausbildung der Persönlichkeit eines Menschen und auch die Forschung geht davon aus, dass interkulturelle Kompetenz – bis zu einem gewissen Grad – entwickelt und erlernt werden kann. Dies belegt die seit Jahrzehnten bestehende Forschungstradition zur interkulturellen Kompetenzentwicklung und auch die Praxis – etwa die der interkulturellen Trainings, wie sie auch am Zentrum für Schlüsselkompetenzen der Universität Passau angeboten werden. Von großer Wichtigkeit ist also neben der Wissenserweiterung (wie sie an der Universität erfolgen kann) eine Haltungsänderung und Entwicklung, wie Personen Fremdheit begegnen und wie sie mit Fremdheit in konkreten interkulturellen Situationen konstruktiv umgehen können. Dieser ressourcen- und lösungsorientierte Ansatz lässt sich durch (Selbst-)Reflexion und Umsetzung in Handlungen entwickeln.

ZfS: Sie waren von 2009 bis 2013 selbst Vorsitzender des ZfS und haben in dieser Funktion einige Seminare mit interkulturellen Themen auf den Weg gebracht. Wie schätzen Sie heute die interkulturelle Kompetenz der Studierenden der Universität Passau ein?

 Als einer der ersten Diplom-Kulturwirte und auch als jemand, der in internationalen Kooperationen forschend und beratend tätig ist, weiß ich um den hohen Stellenwert interkultureller Kompetenz in der Arbeitswelt, die immer internationaler wird. An der Universität Passau gab es schon lange vor der Existenz des ZfS Kurse, die interkulturelle Kompetenz vermittelt haben. Diese richteten sich jedoch nur an Kulturwirt-Studierende. Dementsprechend ist es eine Besonderheit der Universität Passau, Kurse zu kulturraumspezifischer Kompetenz anzubieten, etwa zu Frankreich oder Ost-Europa, die teilweise auch mit bestimmten Studiengängen verknüpft sind.
Eine Besonderheit ist auch, dass unsere Studierenden mit Profis aus der Wirtschaft und der Weiterbildung in Berührung kommen und von deren Erfahrung profitieren. Für Studierende ist es zudem besonders lehrreich, wenn Trainer aus einem anderen (also nicht aus Deutschland) Kulturraum kommen. Dann sind nicht nur die Inhalte, sondern auch die Methoden und die Interaktionsbeziehungen mit den Studierenden interkulturell. Dies war auch mein Anliegen bei der Trainerauswahl des ZfS.

Um auf den zweiten Teil Ihrer Frage zurückzukommen: Da ich an anderen Hochschulen in verschiedenen Ländern unterrichtet habe, kann ich zu der Aussage kommen, dass viele Passau-Studierende sich durch eine hohe Motivation für interkulturelle Fragestellungen auszeichnen, die einhergeht mit umfassenden fremdsprachlichen Kompetenzen auf hohem Niveau sowie inhaltlichem Wissen. Dafür ist unsere Universität ja auch bekannt: Internationale Ausrichtung, fachspezifische Fremdsprachenausbildung, Kulturwirt. Ich selbst biete im Rahmen meiner Lehrtätigkeit am Lehrstuhl für interkulturelle Kommunikation  einmal im Jahr eine französischsprachige Veranstaltung zum interkulturellen Management an. An welcher deutschsprachigen Universität (außerhalb romanistischer Studiengänge) ist so etwas möglich?

Aus eigener Erfahrung, Gesprächen mit ZfS-Trainerinnen und Trainern sowie den Evaluationen weiß ich aber auch, dass Passauer Studierende besonders anspruchsvoll und kritisch sind. Dies ist für Lehrende und Trainer eine Herausforderung!

ZfS: Gibt es Berufsfelder, in welchen interkulturelle Kompetenz wichtiger ist als in anderen, oder ist dies branchenunabhängig?

Generell stelle ich fest, dass interkulturelle Kompetenz in Berufsfeldern, die stark von der Internationalisierung betroffen sind, relevant ist. Generell können branchenunabhängige arbeitsbezogene Tätigkeiten der Kommunikation, Kooperation und Führung (etwa von Mitarbeitern, Arbeitsgruppen oder Projekten) im interkulturellen Kontext durch interkulturelle Kompetenz unterstützt und erleichtert werden: Die Art und Weise, wie Mitarbeiter motiviert werden, wie in Arbeitsgruppen Ziele definiert werden oder wie Projekte organisiert werden, ist nämlich hochgradig unterschiedlich. Dies erlebe ich sowohl in Produktions- als auch Dienstleistungsunternehmen, gleich, ob es Informatiker, Ingenieure oder Vertriebler sind. International agierende Informatiker, die zum Beispiel SAP-Software in multinationalen Unternehmen einführen, scheitern in der Regel nicht an ihrer Fachkompetenz, sondern daran, dass sie kulturelle Verhaltensweisen, die etwa Regel- oder Termineinhaltung betreffen, fehlinterpretieren.

ZfS: Kann man sich als Absolventin oder Absolvent auf dem heutigen Arbeitsmarkt behaupten, ohne durch Auslandsaufenthalte interkulturelle Erfahrungen gesammelt zu haben?

Es hängt ganz davon ab, wie und wo Absolventen arbeiten. In der Regel ist ein Auslandsaufenthalt eine wertvolle Erfahrung für jeden Studierenden und trägt nicht nur zur interkulturellen Kompetenz, sondern auch generell zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Ein neues Phänomen ist, dass Internationalisierung nicht nur außerhalb unserer Landesgrenzen, sondern auch im Inland stattfindet. Interessant ist nun, dass bestimmte Berufe in Deutschland, die bisher wenig internationalisiert waren, etwa pflegende, medizinische, schulische oder juristische Berufe, durch die Multikulturalität unserer Gesellschaft eine große Wandlung erfahren haben. Wer hier interkulturell nicht kompetent ist, sei es als Lehrer, Arzt, Richter oder Anwalt, wird seinen Beruf vielleicht nicht mehr richtig ausfüllen können.

ZfS: Oft sind Seminare zu interkultureller Kompetenz Zusatzangebote, die freiwillig besucht werden können. Sollte die interkulturelle Kompetenz im Hinblick auf die immer weiter voranschreitende Globalisierung Ihrer Meinung nach ein verpflichtender Teil der Ausbildung werden?

 Meine bisherigen Ausführungen sollten verdeutlichen, wie wichtig interkulturelle Kompetenz für internationales Arbeiten ist. Leider wird manchmal die Bedeutung von „soft skills“, die zu einer Inwertsetzung fachlichen Wissens beitragen, von einigen Kollegen nicht als wichtig eingestuft. In einigen Berufsfeldern wird interkulturellen Kompetenzen noch zu wenig Platz eingeräumt, obwohl es passieren kann, dass Mitarbeiter recht schnell in internationale Projekte eingebunden werden. Dies habe ich bei der Tätigkeit deutscher Konzerne im Ausland schon oft erlebt. Ich kann Studierenden daher nur empfehlen, ihre interkulturellen Kompetenzen beim ZfS oder durch andere interkulturelle Lernerfahrungen wie ein Auslandsstudium oder -praktikum zu entwickeln. Die Verpflichtung jedoch halte ich nicht für sinnvoll. Einsicht und Motivation sollte von den Studierenden selbst kommen.

ZfS: Wagen wir zum Abschluss einen Blick in die Zukunft: Gibt es Bereiche, wo interkulturelle Kompetenz an Bedeutung gewinnen wird? Muss die Vermittlung interkultureller Kompetenz im Hinblick auf bestimmte Entwicklungen eventuell auch angepasst werden? Ein Stichwort könnte hier die Arbeit in virtuellen Teams sein: Menschen aus verschiedenen Ländern arbeiten ohne direkten physischen Kontakt zusammen – welche Herausforderungen bestehen hier?

Die Welt modernisiert sich mit großer Geschwindigkeit. Immer häufiger finden sich virtuelle Teams, deren Teammitglieder an unterschiedlichen Orten an Projekten arbeiten und sich über digitale Kommunikationsmittel koordinieren. Das sind komplexe Prozesse, die nicht selten von Missverständnissen begleitet werden. Auch die vielen neuen Medien, die zur Verfügung stehen, bewirken jedoch nicht, dass kulturelle Unterschiedlichkeit hinfällig wird. Kultur trägt dazu bei, dass bestimmte Handlungen kulturtypische Bedeutungen tragen: Wenn ein Teammitglied stundenlang oder tagelang nicht auf Anfragen antwortet, hat dies etwas zu bedeuten? Ist das Teammitglied zu beschäftigt? Hat er die E-Mail übersehen? Oder gibt es Verstimmungen? All dies ist viel schwieriger abzuschätzen, als wenn face-to-face zusammengearbeitet wird.

Ein weiterer Punkt ist die Vermittlung interkultureller Kompetenz, etwa an Schulen oder Hochschulen: Durch Digitalisierung werden didaktische Methoden eine Veränderung erfahren; vielleicht wird das Lernen selbstständiger, spielerischer und autonomer durch interaktive Software- Anwendungen?

Inhaltlich werden wir uns zunehmend mit den interkulturellen Herausforderungen multikultureller Gesellschaften beschäftigen und auch damit, dass sich Menschen immer mehr nicht nur mit ihrer Nation, sondern auch mit pluralistischen Kulturen (Region, Gender, Generation, Organisation) identifizieren. Es geht hier einerseits um das Zusammenleben und -arbeiten von Menschen unterschiedlichster religiöser Zugehörigkeiten und andererseits um die Integration von Zuwanderern in unser soziales Umfeld. Auch hier ist kultursensibles und interkulturell kompetentes Verhalten gefragt.

ZfS: Vielen Dank für das Gespräch!

Professor Dr. Christoph Barmeyer ist Inhaber des Lehrstuhls für Interkulturelle Kommunikation an der Universität Passau und war von 2009-2013 Vorsitzender des Zentrums für Schlüsselkompetenzen. Als einer der ersten Kulturwirte durfte er Anfang der 1990er Jahre an Kompaktseminaren teilnehmen, in denen Schlüsselkompetenzen gefördert wurden. Rückblickend stellt er fest, dass er im Arbeitsalltag enorm von dieser Erfahrung profitiert.

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Dieser Artikel wurde verfasst von Zentrum für Karriere und Kompetenzen.

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