Nachgefragt bei: Dr. Marco Tucci

Veröffentlicht von am 17.07.2015, 11:57 | Kommentar
Dr. Marco Tucci

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„Zu theoretisch“, „zu viel Lernstoff“, „zu wenig vermittelte Soft Skills“: Die Debatte über das Jurastudium in Deutschland ist auch ein halbes Jahr nach dem Interview von Bundesrichter Thomas Fischer mit dem Magazin Zeit Campus noch nicht verblüht. Ein wichtiger Kritikpunkt ist immer wieder die zu geringe Vermittlung von Zusatzqualifikationen. Am Zentrum für Schlüsselkompetenzen (ZfS) können Jurastudierende der Universität Passau spezielle Seminare belegen, um sich über ihre Fachkompetenz hinaus weiterzubilden. Wichtige Qualifikationen wie Verhandlungsmanagement, Mediation oder Rhetorik werden hier vermittelt. Aber auch andere Seminare des ZfS zu personaler, sozial-kommunikativer sowie zu Methodenkompetenz stehen den Jurastudierenden offen. Wir haben Dr. Marco Tucci, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Associated Partner bei der führenden europäischen Wirtschaftskanzlei Noerr LLP, zu seiner Meinung über das Jurastudium befragt, und wollten wissen, inwiefern auch andere Schlüsselkompetenzen wie interkulturelle Kompetenz für Jurastudierende relevant sind.

ZfS: Im Interview mit Zeit Campus kritisierte Bundesrichter Thomas Fischer letztes Jahr das Jurastudium in Deutschland scharf und löste damit eine heftige Debatte aus. Das Studium bereite seiner Meinung nach lediglich auf den Beruf des Richters vor, nicht aber auf den des Anwalts oder Unternehmensjuristen. Was halten Sie von dieser Aussage?

Die Juristenausbildung an den Universitäten, die in der Tat nach wie vor die grundsätzliche Befähigung zum Richteramt zum Ziel hat, halte ich auch heute für richtig. Sie ist sehr umfassend angelegt. Die vermittelten juristischen Kenntnisse und Denkmuster sind unverzichtbares Rüstzeug für jede spätere Arbeit als Jurist – unabhängig davon, ob man tatsächlich Richterin oder Richter werden oder einen anderen juristischen Beruf ergreifen möchte. Darüber hinaus gibt es im Jurastudium und auch während des Referendariats aus meiner Sicht durchaus zahlreiche Ausbildungsangebote, die auch die Anforderungen an den Anwaltsberuf berücksichtigen.

ZfS: Laut dem Deutschen Richtergesetz sollen im Jurastudium auch Schlüsselqualifikationen wie Vernehmungslehre, Streitschlichtung und Kommunikationsfähigkeit vermittelt werden. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist die Belegung von Schlüsselqualifikationsseminaren an bayerischen Universitäten jedoch nicht verpflichtend. Halten Sie es für sinnvoll, Schlüsselqualifikationsseminare fest in die Prüfungsordnung des Jurastudiums zu integrieren?

Es wäre durchaus wünschenswert, wenn in der bayerischen Juristenausbildung Seminare, die genau diese geforderten Schlüsselqualifikationen vermitteln, mehr Gewicht erhielten bzw. aufgewertet würden. Vielleicht ließe sich dies tatsächlich dadurch erreichen, dass die Studierenden diese Seminare mit Relevanz für das Erreichen des nächsten Studienabschnitts einbringen könnten.

ZfS: Nun zu einem anderen Thema: Die Globalisierung hat die Arbeitswelt verändert. Immer mehr Unternehmen sind international aktiv oder haben Filialen im Ausland: Interkulturelle Kompetenz ist gefragt. Ist dies auch für Juristinnen und Juristen relevant? Sollten Jura-Studierende auch Fremdsprachenkurse und Seminare zu interkultureller Kompetenz belegen?

Fremdsprachenkenntnisse, insbesondere natürlich Englisch, sind im Anwaltsberuf unabdingbar, gerade wenn man in einer international tätigen Kanzlei arbeiten möchte. Dies gilt in gleichem Maße für Unternehmensjuristen. Die Universität Passau ist mit ihrer fachspezifischen Fremdsprachenausbildung bei der Sprachenvermittlung ja bereits sehr gut aufgestellt. Für mich selbst war dieses Zusatzangebot ein entscheidender Punkt, warum ich seinerzeit mein Studium in Passau aufgenommen habe. Neben der reinen Sprachenvermittlung ist aber die interkulturelle Kompetenz mindestens genauso wichtig. Man sollte die Verhandlungspartner und Mandanten im Ausland nicht nur sprachlich verstehen, sondern auch die wesentlichen Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr des jeweiligen Kulturraumes kennen. Das gibt Sicherheit in der Kommunikation und im Auftreten und ist häufig mitentscheidend für den geschäftlichen Erfolg.

ZfS: Haben Sie bei Ihrer Tätigkeit als Anwalt bereits Situationen erlebt, in denen Kenntnisse der interkulturellen Kompetenz wichtig waren? Können Sie uns davon erzählen?

In einer international tätigen Kanzlei wie Noerr LLP ist interkulturelle Kompetenz eigentlich tagtäglich gefragt. Bei der Kommunikation mit Mandanten und Verhandlungspartnern im Ausland ist es wichtig, den „richtigen Ton“ zu treffen und die jeweiligen Gepflogenheiten nicht außer Acht zu lassen. Für den Geschäftserfolg ist dies oft genauso wichtig wie die reine Fachkompetenz. Dabei stellt sich immer mal wieder das ein oder andere kleinere „Fettnäpfchen“ in den Weg. Den Umgang mit fremden Kulturen und das Vermeiden dieser Fettnäpfchen kann man bei der täglichen Praxis im Beruf üben; aber auch der Besuch von Seminaren zur interkulturellen Kompetenz bereits während des Studiums ist sehr sinnvoll.

ZfS: Welche Tipps geben Sie Studierenden im Allgemeinen und Jura-Studierenden im Besonderen, um ihre Schlüsselkompetenzen auszubauen?

Allgemein gilt: Man sollte – wann immer es der Studienplan zulässt – über den Tellerrand des eigenen Fachstudiums hinausschauen und für Dinge offen und interessiert bleiben, die nicht nur der unmittelbaren Punktegewinnung im Studium dienen. Die Studierenden der Universität Passau haben das Privileg, vom Angebot des Zentrums für Schlüsselkompetenzen profitieren zu können. In dem unglaublich vielfältigen Angebot findet jeder das ein oder andere Seminar, das sie oder ihn interessiert, über die reine Fachausbildung hinausgeht und idealerweise auch noch Spaß macht. Daneben schult man wichtige Schlüsselkompetenzen am besten in der Praxis: interkulturelle Kompetenz durch Auslandsaufenthalte, Kommunikationsfähigkeit und soziale berufliche Kompetenz durch Praktika in Kanzleien, Unternehmen oder Organisationen. Man merkt dann selbst, wo die eigenen Stärken liegen und erkennt die Schwächen, an denen man noch arbeiten möchte, bevor man sich ins Berufsleben stürzt.

ZfS: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Dr. Marco Tucci hat Rechtswissenschaften an den Universitäten München und Passau studiert. Seit 2002 ist er als Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der führenden europäischen Wirtschaftskanzlei Noerr LLP tätig, wo er mittlerweile zum Associate Partner ernannt wurde. Als Mitglied im Think Tank berät er das ZfS zu notwendigen Schlüsselkompetenzen für Jurastudierende und gibt Anregungen für die Gestaltung des Seminarangebots.

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Dieser Artikel wurde verfasst von Zentrum für Karriere und Kompetenzen.

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