Die Balance zwischen Arbeit und Leben – Robert Coordes im Gespräch

Veröffentlicht von am 4.07.2016, 17:36 | Kommentar

Robert Coordes, Dozent am Zentrum für Schlüsselkompetenzen„Work-Life-Balance“, das ist ein Begriff, der aus der öffentlichen Diskussion und den Medien nicht mehr wegzudenken ist. Auch „burn-out“ und stressbedingte Krankheiten scheinen verbreiteter denn je. Eine Ursache, die solche Krankheiten begünstigt ist der technologische Fortschritt. Zunehmende Beschleunigung, permanente Erreichbarkeit und Flexibilität machen es schwieriger, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben herzustellen. Unternehmen versuchen daher Zufriedenheit und Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Work-Life-Balance-Maßnahmen zu verbessern. Darunter fallen Angebote und Informationen zur Gesundheitsförderung wie zum Beispiel Sportangebote, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung oder ausgewogene Ernährung. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat dabei einen hohen Stellenwert: flexible Arbeitszeiten, zeitlich begrenzte, berufliche Auszeiten oder Kinderbetreuung werden gefördert.

Auch Studierenden fällt es nicht immer leicht, ein solches Gleichgewicht herzustellen und mit Stress umzugehen. Laut der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks und des Bundesbildungsministeriums aus dem Jahre 2012, schätzen 48 Prozent der befragten Studierenden die zeitliche Belastung in ihrem Studium als hoch oder zu hoch ein. Viele finanzieren zudem ihr Studium durch einen Nebenjob und haben oft Schwierigkeiten, ihren Alltag stressfrei zu organisieren. Als Gründe für das Stressempfinden geben Studierende laut einer Umfrage der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften (2013) oft schlechtes Zeitmanagement und Abgabetermine sowie Prüfungen an.

Robert Coordes ist Psychologe und hat eine langjährige Erfahrung als Trainer und Coach. Am Zentrum für Schlüsselkompetenzen (ZfS) der Universität Passau gibt er die Seminare „Work-Life-Balance“, „Erfolgspotenziale der Persönlichkeit“ und „Selbst-bewusst entscheiden“. Wir haben mit ihm über seinen Beruf, die Herausforderungen für Studierende bei der  Organisation des Studiums und wie wichtig es ist, seine eigene Persönlichkeit zu kennen, gesprochen.

ZfS: Herr Coordes, Sie haben Psychologie studiert und arbeiten seit 1999 bereits als Trainer und Coach. Sie sind Gründer und Geschäftsführer der Deutschen Akademie für angewandte psychologische Verfahren und haben Ihr eigenes Beratungsunternehmen Coordes-Consulting in Berlin. Was hat sie dazu bewegt, sich als Trainer und Berater selbstständig zu machen?

Robert Coordes: Für mich war es immer wichtig, selbstständig zu arbeiten, meine eigenen Ideen zu entwickeln und auch umzusetzen. Außerdem ist der Trainingsbereich ein Bereich, in dem die meisten selbstständig tätig sind. In Ausbildungen und Seminaren an privaten Instituten lernte ich Trainerinnen und Trainer kennen, die mich dazu inspirierten, diesen Pfad einzuschlagen. Ich kann nicht behaupten, dass ich hier eine Entscheidung getroffen habe – dieser Bereich hat mich schon immer begeistert, ich habe entsprechende Seminare und Fortbildungen belegt, die richtigen Kontakte geknüpft und mich in diese Richtung gearbeitet.

ZfS: Was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Beruf?

Coordes: Ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten beziehungsweise besser noch: Menschen zu inspirieren. Ich selbst habe durch meine Ausbilder viel Inspiration erfahren und Faszination für die Psychologie gefunden. Es begeistert mich, dies weiter zu vermitteln und damit Menschen zu ermöglichen, eine neue Perspektive einzunehmen.

ZfS: Am ZfS sind sie Trainer für die Seminare „Work-Life-Balance“, „Erfolgspotenziale der Persönlichkeit“ und „Selbst-bewusst entscheiden“.
Warum fällt es vielen Studierenden Ihrer Meinung nach immer schwerer, die Balance zwischen Studium beziehungsweise Arbeit und Freizeit zu finden?

Coordes: Ich weiß nicht, ob ich zustimmen würde, dass es Studierenden immer schwerer fällt, eine Balance zwischen Studium beziehungsweise Arbeit und Freizeit zu finden. Ich würde eher behaupten, dass Studierende nicht wirklich mental auf die kommenden Herausforderungen vorbereitet werden. Ich sehe den Trend eher kritisch, im Studium immer mehr Leistung in immer kürzerer Zeit zu fordern und den Lernweg auch zunehmend eingeschränkter vorzugeben. Ich mache die Erfahrung, dass dadurch Studierende immer weniger dazu eingeladen werden, eigene Standards und Vorstellungen zu entwickeln und sich selbst kennenzulernen.
Dies führt im späteren Beruf eher dazu, eigene Grenzen, aber auch Kompetenzen nicht richtig einschätzen zu können und sich selbst auf Kosten der Gesundheit auszubeuten.

ZfS: Nach einer Online-Befragung vom Institut für Markt- und Trendforschung EARSandEYES im Mai 2015 sind 88% der zwischen 18- und 30-Jährigen mit Ihrem Charakter unzufrieden und rund jeder Vierte wäre gern willensstärker. Woran liegt es, dass junge Menschen Schwierigkeiten haben, Entscheidungen zu treffen und so viele ihre Persönlichkeit verändern wollen?

Coordes: Wir leben in einer entfremdeten Gesellschaft, in der wir Idealen folgen, die wir uns in der Regel nicht ausgesucht haben. Uns wird vorgemacht, dass wir uns optimieren sollten, um Anerkennung und Zufriedenheit zu erlangen. Mit dieser Haltung wollen viele Menschen auch Ihren Charakter oder Ihre Persönlichkeit verändern – als Mittel zum Zweck – um beispielsweise erfolgreicher zu werden. Das kann nicht funktionieren, da das Verfolgen von fremden Maßstäben nur zu weiterer Entfremdung führt. Verändern wollen wir immer dann etwas, wenn wir unzufrieden sind und das Gefühl haben, nicht unsere Lebensmöglichkeiten auszuschöpfen. Doch diese Veränderung kann nur in Auseinandersetzung mit sich selbst nachhaltig sein – keine Methode, keine Empfehlung von außen, die nicht verinnerlicht wird, führt hier zum gewünschten Ergebnis.

ZfS: Welche Kompetenzen können Studierende in Ihren Seminaren erwerben, um ihr Studium besser zu organisieren?

Coordes: Sie können Selbst-Bewusstsein erlangen, also eine bessere Kenntnis des eigenen Selbst. Dies ist die Grundlage dafür, die eigenen Interessen, Kompetenzen und Ziele im Alltag wahrzunehmen  und ernst zu nehmen.
Dies kann dabei helfen, Prioritäten zu setzen und sich selbst nicht zu überfordern.

ZfS: Bitte vervollständigen Sie folgende Sätze:
Meine Seminare unterscheiden sich von anderen durch…

Coordes: …eine deutliche psychologische Perspektive und die Einladung zur Introspektion.

ZfS: Und: Ich bin zufrieden mit dem Seminar, wenn…

Coordes: …ich verwirren konnte, weil hinderliche Haltungen infrage gestellt wurden.
Coordes: …dazu inspirieren konnte, das eigene Erleben ernst zu nehmen und darauf vermehrt zu achten.

ZfS: Vielen Dank für das Gespräch!

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Dieser Artikel wurde verfasst von Zentrum für Karriere und Kompetenzen.

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