Mittelalter einmal ganz anders – Das SKILL.de-Seminar „Höfische Lebensformen“ brachte die Lehrkräftebildung an den Lernort Museum

Veröffentlicht von am 19.09.2022, 12:55 | Kommentar
Schülerinnen und Schüler der Grundschule Haidenhof an der Station zu mittelalterlichen Kronen

Schülerinnen und Schüler der Grundschule Haidenhof an der Station zu mittelalterlichen Kronen Bild: Anna Sophia Boxleitner

Wie lassen sich Lerngelegenheiten zum Thema Mittelalter für Grundschulkinder spannend und kompetenzorientiert sowie lehrplanbezogen gestalten? Dieser Frage sind die Studierenden des Seminars „Höfische Lebensformen“ nachgegangen, das von der Älteren Deutschen Literaturwissenschaft und der Deutschen Sprachwissenschaft in Kooperation mit dem Oberhausmuseum Passau veranstaltet wurde. Unter der Leitung der Dozentinnen, Julia Siwek und Christina Böhmländer, entwickelten sie in Tandems Vermittlungskonzepte zu ausgewählten Ausstellungsstücken des Oberhausmuseums – für Schülerinnen und Schüler der 4. Jahrgangsstufe.

Dafür beschäftigten sich die Teilnehmerinnen in der ersten Phase des Seminars mit der Darstellung höfischer Kultur in der Literatur um 1200 und verschränkten dabei die literaturwissenschaftliche und die sprachgeschichtliche Perspektive. Sie arbeiteten unter anderem heraus, welche gesellschaftliche Rolle die Ritterschaft erfüllte, welche Tugenden im Hochmittelalter für junge Adlige propagiert wurden, was die adlige Gemeinschaft aß und bei welchen Spielen sie sich die Zeit vertrieb. Außerdem untersuchten sie, wie sich die Bedeutung von zentralen Wörtern der höfischen Kultur über die Zeit verändert hat und welche Spuren des Mittelhochdeutschen sich heute noch in unseren Dialekten finden. Bei einer Exkursion lernten die Studierenden außerdem die Veste Oberhaus und die Dauerausstellung zum Leben im Mittelalter kennen und erhielten von den Mitarbeiterinnen der Abteilung „Bildung und Vermittlung“, Jana Kohout und Eva Sattlegger, methodische Ideen und praktische Tipps für die Vermittlungsarbeit an diesem außerschulischen Lernort.Bei zwei Blockterminen im Juni erfolgte schließlich die Entwicklung der Vermittlungskonzepte. Dank der vom Oberhausmuseum bereitgestellten Digitalisate der Sammlungsobjekte und einem eigens im Projekt programmierten „OberhausViewer“ konnten die ausgewählten mittelalterlichen Artefakte virtuell in das „Klassenzimmer der Zukunft“ (DiLab) und auf das eigene Endgerät geholt und genau untersucht werden. Zusätzliche Hilfestellung bei der Entwicklung eines didaktischen Szenarios boten ein weiterer Input durch Eva Sattlegger und ein Workshop zur Aufgabenkonstruktion von Mirjam Dick von der Professur für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur.

Schreibproben mit Feder und Tinte in der mittelalterlichen Schreibstube

Schreibproben mit Feder und Tinte in der mittelalterlichen Schreibstube Bild: Anna Sophia Boxleitner

Den Abschluss des Seminars und zugleich den Praxistest für die studentischen Vermittlungskonzepte bildete der „Mittelaltertag“, der am 1. Juli 2022 im Oberhausmuseum stattfand: Über 50 Viertklässlerinnen und Viertklässler der Grundschule Haidenhof kamen mit ihren Lehrkräften zu Besuch. Begrüßt wurden sie im Rittersaal von Bürgermeister Armin Dickl und dem gesamten Team des Kooperationsseminars „Höfische Lebensformen“. Nach einem Gruppenfoto machten sich die Kinder auf zu einem Rundlauf mit insgesamt sechs Stationen, an denen die Studierenden sie mit spannenden Entdeck- und Mitmachaktionen erwarteten. Dabei wurde neben der Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsstück auch immer die literaturwissenschaftliche und die sprachgeschichtliche Perspektive auf den mittelalterlichen Gegenstand einbezogen: Die Schülerinnen und Schüler erkundeten unter anderem, welche verschiedenen Kronen es im Mittelalter gab und in welch unterschiedlichen Bedeutungen das Wort ‚Krone‘ in hochmittelalterlichen Texten vorkam. Sie verglichen ihre Zahnputzgewohnheiten mit denen der Menschen im Mittelalter und lauschten einem Minnesänger, der die Schönheit der Zähne seiner Dame besingt. An einer langen Tafel spielten sie ein Festessen am Hof des Bamberger Bischofs nach und achteten auf die damals geltenden Benimmregeln. Und sie setzten den Ritter in Bezug zu einem Polizisten einer Spezialeinheit – beide tragen zum Schutz ein Kettenhemd. An zwei weiteren Stationen entdeckten sie die vielfältige Spielkultur des Mittelalters und wurden in der mittelalterlichen Schreibstube zu Schreiberinnen und Schreibern ausgebildet. Für jede erfolgreich gemeisterte Station gab es einen Stempel auf einer eigenen ‚mittelalterlichen Urkunde‘.

Lösen eines Buchstabenpuzzles zur sprachgeschichtlichen Entwicklung des Wortes ‚Zahn‘

Lösen eines Buchstabenpuzzles zur sprachgeschichtlichen Entwicklung des Wortes ‚Zahn‘ Bild: Anna Sophia Boxleitner

Neben vielen Einblicken und Erkenntnissen zur höfischen Kultur und einer Mappe voller Andenken nahmen die Schülerinnen und Schüler der Grundschule Haidenhof vor allem Begeisterung für das Mittelalter mit nach Hause. Der erfolgreiche Abschluss des Kooperationsseminars zeigte eindrücklich, wie sehr der Lernort Museum sowohl die Lehrkräftebildung als auch den Schulunterricht bereichert.

Professorin Dr. Andrea Sieber und Professor Dr. Alexander Werth, die die wissenschaftliche Betreuung des Kooperationsseminars „Höfische Lebensformen“ innehatten, resümieren das besondere Seminarkonzept wie folgt:
„Das Seminar hat den Studierenden die Möglichkeit gegeben, sich im Sinne einer interdisziplinären Mittelalter-Didaktik aus verschiedenen Perspektiven mit Formen höfischen Lebens auseinanderzusetzen. Und sie konnten erleben, welches Faszinationspotenzial diese Epoche für Schülerinnen und Schüler hat. Die Sagen um die Ritter der Tafelrunde, um nur ein Beispiel zu nennen, sind auch heute noch präsent in Büchern, Filmen und Computerspielen – an diese Vorkenntnisse kann eine Lehrkraft wunderbar anknüpfen. Die studentischen Vermittlungskonzepte haben gezeigt, wie die Gegenüberstellung von Mittelalter und Gegenwart für die Kinder eine Entdeckung des Fremden im Eigenen und umgekehrt ermöglicht.“ (Andrea Sieber)

„Durch die Verzahnung der Deutschen Sprachwissenschaft mit der Älteren Deutschen Literaturwissenschaft und der Fachdidaktik war es den Seminarteilnehmerinnen möglich, die Relevanz sprachgeschichtlicher Themen für ihren späteren Berufsalltag als Lehrerinnen zu erkennen. Sie erkundeten u.a., wie sich die deutsche Sprache seit dem Hochmittelalter verändert hat und wie sich damals wie heute Variation in unserer Sprache finden lässt. Damit wurde ihre Sensibilität für die Veränderbarkeit von Sprache trainiert. Dies ist eine wichtige Grundlage für die Untersuchung von Sprachgebrauch im Deutschunterricht, was ja auch im Lehrplan der 4. Jahrgangsstufe verankert ist.“(Alexander Werth)

Autorin: Julia Siwek

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Dieser Artikel wurde verfasst von Uni Passau Kommunikation.

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